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René Lüchinger

Neurodermitis - Jucken und Brennen schlimmer als alle Schmerzen!


Neurodermitis ist ein Leidensweg sondergleichen!

Ich durfte kürzlich mit einem Patienten ein Erstgespräch halten. Dieser Mann leidet unter Neurodermitis oder auch atopischer Dermatitis. Und zwar sein ganzes Leben lang, aber im Gegensatz zu vielen Betroffenen hat  sein Leiden nicht spontan aufgehört sondern wird immer schlimmer. Er ist unter anderem an der Parkinsonkrankheit erkrankt. Parkinson kann auch Schmerzen machen und unter Umständen sehr starke. Diese Aussage während der Anamnese hat sich tief in mir festgesetzt: “Wissen Sie, Herr Lüchinger, das Jucken und Brennen ist für mich viel schlimmer als meine Schmerzen.”


Und das führt mich zum heutigen Blogbeitrag. Und dazu am besten eine Geschichte eines anderen, deutlich jüngeren Patienten: Marco. Der Name ist natürlich geändert.


Marco ist sieben Jahre alt und hat fast sein ganzes Leben mit schwerer Neurodermitis zu kämpfen. Seine Haut ist oft rau, gerötet und schmerzhaft, besonders in den Leisten, Genitalien, Kniekehlen, Armbeugen und im Gesicht. Die Bilder, die mir die Eltern gezeigt haben, von der sich ablösenden Haut, rot und nässend fahren – auf Rheintaler Deutsch - wirklich ein! 


Während andere Kinder in seinem Alter unbeschwert draussen spielen, muss Marco auf vieles verzichten, da viele Aktivitäten seine Haut verschlimmern können. Seine Eltern haben unzählige Produkte, Cremes und Therapien ausprobiert, in der Hoffnung, ihm Linderung zu verschaffen – doch die Symptome kehren immer wieder zurück. Es gab Abklärung um Abklärung mit den unterschiedlichsten Aussagen, von unspezifischer rheumatischer Erkrankung zu Autoimmunkrankheit, zu Neurodermitis oder eben atopischer Dermatitis.


Für Marco und seine Familie ist Neurodermitis eine tägliche Herausforderung, die weit über das rein Körperliche hinausgeht.


In diesem Beitrag möchte ich beleuchten, was hinter Neurodermitis steckt. Werfen wir einen Blick auf die Ätiologie, also die Ursachen und Risikofaktoren, die zur Entstehung dieser chronischen Hauterkrankung führen können, sowie die Pathophysiologie – die Prozesse im Körper, die Neurodermitis aufrechterhalten und verschlimmern.

Und zu guter Letzt kommt natürlich mein Ansatz, meine Denkweise und mein Vorgehen.


Denn ich darf den Betroffenen Mut machen: Wir können wirklich etwas dagegen tun. Denn wie so oft ist die Haut der Spiegel des Inneren und dort ist auch der Behandlungsansatz.

Aber wie kommt es überhaupt zur Neurodermitis?


Ätiologie:

Die Ursachen von Neurodermitis sind vielfältig und nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass ein Zusammenspiel aus genetischen, immunologischen und umweltbedingten Faktoren zur Entstehung dieser Erkrankung beiträgt. In Familien mit einer Vorgeschichte von allergischen Erkrankungen wie Asthma, Heuschnupfen oder anderen atopischen Erkrankungen tritt Neurodermitis häufiger auf. Dies deutet darauf hin, dass genetische Veranlagungen eine wichtige Rolle spielen. Bestimmte genetische Mutationen, die die Hautbarriere betreffen, können dazu führen, dass die Haut anfälliger für Reizungen und allergische Reaktionen wird.


Bei Marco war es der Vater, der dieselbe Leidensgeschichte hatte. Es gab aber noch ein kleines Detail, das für mich alles andere als klein ist: Marco musste mit zweieinhalb Monaten Antibiotika nehmen wegen einer schweren Pharyngitis also einer Rachenentzündung - offenbar damals bakteriell. Und für mich ist, wie ich weiter unten schreibe, das eine der möglichen Ursachen für die Neurodermitis. Denn als Baby hatte Marco noch nichts. Die Neurodermitis begann mit rund drei Jahren. Bei 60% aller Neurodermitis Betroffenen beginnt diese bis zum zweiten Lebensjahr. Aber weiter im Text:


Ein schwaches Immunsystem und eine Überempfindlichkeit des Immunsystems gegenüber äusseren Einflüssen wie Allergenen oder Bakterien scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen. Faktoren wie Stress, bestimmte Lebensmittel, Hausstaubmilben, Pollen und sogar Temperaturänderungen können Neurodermitis-Schübe auslösen oder verschlimmern. Marco lebt in einem sehr warmen Land. Schwitzen ist für ihn eine Qual, denn die Wärme und natürlich das Schwitzen selbst verstärken die Symptome bei ihm.


Zusätzlich scheinen moderne Lebensbedingungen, einschließlich der Hygienehypothese, zu einem Anstieg von atopischen Erkrankungen wie Neurodermitis beizutragen. Die Hypothese besagt, dass ein übermässig steriles Umfeld das Immunsystem nicht ausreichend trainiert, was zu einer Überempfindlichkeit gegenüber eigentlich harmlosen Substanzen führt. Es ist also wirklich gut, manchmal ein wenig Dreck zu essen.

Insgesamt ist die Ursache von Neurodermitis komplex und individuell verschieden. 

Aber was passiert denn, wenn die Haut juckt und beisst und sich in Extremis sogar ablöst?


Pathophysiologie:

Die Pathophysiologie der Neurodermitis ist ebenso komplex wie ihre Ursachen und zeigt, wie eng die Haut- und Immunsysteme miteinander verbunden sind. Und bei Marco wie auch bei uns allen liegt ein gewaltiger Anteil des Immunsystems im Darm und seinen kleinen Freunden, den guten Bakterien. 


Neurodermitis beginnt häufig mit einer Störung der Hautbarriere. Bei Betroffenen ist die Schutzfunktion der Haut geschwächt, was dazu führt, dass Feuchtigkeit weniger gut gespeichert wird und die Haut anfälliger für das Eindringen von Allergenen, Bakterien und anderen Reizstoffen wird. Diese erhöhte Durchlässigkeit ist oft auf genetische Defekte in Hautproteinen, wie beispielsweise Filaggrin, zurückzuführen, das für die Hautstruktur und die Feuchtigkeitsspeicherung essentiell ist. Das wäre in diesem Fall die väterliche Genetik.


Durch diese geschwächte Barriere wird das Immunsystem häufiger aktiviert, da es ständig auf eingedrungene Reizstoffe reagiert. Die Reaktion des Immunsystems führt zu einer entzündlichen Antwort: Es werden Immunzellen und entzündungsfördernde Botenstoffe, wie Zytokine, freigesetzt, die die Hautzellen zusätzlich reizen. Diese Immunreaktion zeigt sich äusserlich als Rötung, Schwellung und Juckreiz, was wiederum dazu führt, dass Betroffene die betroffenen Stellen kratzen. Das Kratzen verschlimmert jedoch die Hautschädigung und fördert die Entzündung weiter – es entsteht ein Teufelskreis aus Juckreiz, Kratzen und Entzündung. Wer schon einmal sein Kind gesehen hat, dass einfach nicht aufhören kann zu kratzen, der erkennt das wahre Leiden dieser Familien!


Zusätzlich scheint bei Neurodermitis ein Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Immunzellen zu bestehen. Die TH2-Immunantwort, eine bestimmte Art der Immunantwort, ist verstärkt aktiv und fördert allergische Reaktionen. Diese immunologische Überaktivität macht den Körper anfälliger für Allergene und irritierende Stoffe, was die Symptome verstärkt und zu chronischen Entzündungen führt. 

Das tönt kompliziert und es ist es auch. Aber: Diese T helper Zellen beeinflussen die Immunantwort der B Zellen und diese wiederum die ganze Kette an Immunantwort. Dabei ist die Balance der verschiedenen T Zellen extrem wichtig, denn allzu viel ist ungesund.

Das Mikrobiom des Darms wiederum macht in den ersten Lebensjahren einen gewaltigen Anteil an der Entstehung dieser Balance aus. Und genau das wurde mit 2.5 Monaten extrem gestört durch die “Anti-Biotika”, also die Feinde des Mikrobioms. Innen ist für mich eben aussen.

Das war einer meiner Behandlungsansätze (und ist es übrigens bei vielen meiner Neurodermitis Patienten).


Insgesamt zeigt die Pathophysiologie der Neurodermitis, dass eine gestörte Hautbarriere und eine Überreaktion des Immunsystems Hand in Hand gehen. Daher sind Behandlungen, die sowohl die Hautbarriere stärken als auch die Entzündung hemmen, besonders wichtig, um die Symptome langfristig zu lindern.


Wächst sich das nicht aus?

Ob sich Neurodermitis auswächst, hängt stark von individuellen Faktoren ab und kann sehr unterschiedlich verlaufen. Tatsächlich erleben viele Kinder, die in jungen Jahren unter Neurodermitis leiden, eine deutliche Verbesserung oder sogar ein Verschwinden der Symptome im Jugend- oder Erwachsenenalter. Etwa 60-70 % der Kinder mit Neurodermitis haben im Laufe der Zeit eine spontane Besserung.


Das ist toll, aber der Leidensweg bis dahin ist doch wirklich traurig, insbesondere, wenn etwas getan werden kann. Die Gründe fürs Auswachsen sind mannigfach und würden hier den Rahmen des Blogs sprengen. 


Ich möchte mich nun darauf konzentrieren, was funktionell medizinisch getan werden kann.


Funktionell-Integrative Medizinische Herangehensweise

Eine funktionell-integrative Behandlung bei Neurodermitis zielt darauf ab, die Ursachen auf systemischer Ebene zu erforschen und gezielt Massnahmen zu ergreifen, die über die blosse Linderung der Symptome hinausgehen. Dabei stehen zunächst die Analyse des Mikrobioms, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, sowie die Abklärung von Nährstoffdefiziten im Vordergrund, gefolgt von einer umfassenden Untersuchung des Immunstatus, insbesondere der Balance zwischen verschiedenen Immunantworten.


Mikrobiomanalyse und deren Bedeutung

Das Mikrobiom, die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm, spielt eine entscheidende Rolle in der Immunmodulation und Hautgesundheit. Studien zeigen, dass bei Neurodermitis Patienten häufig ein Ungleichgewicht im Darmmikrobiom vorliegt. Dieses Ungleichgewicht, auch als Dysbiose bezeichnet, kann zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmschleimhaut (Leaky Gut) führen, was wiederum entzündliche Prozesse begünstigt und die Neigung zu allergischen Reaktionen verstärkt.

Eine Mikrobiomanalyse ermöglicht es, den Zustand der Darmflora zu beurteilen und gezielte probiotische oder präbiotische Interventionen einzuleiten, um das Mikrobiom ins Gleichgewicht zu bringen. Dies kann langfristig dazu beitragen, die Überreaktion des Immunsystems zu dämpfen undNeurodermitis-Symptome zu lindern.





Bei Marco haben wir das natürlich gemacht. Die Fotos hier zeigen, dass es tatsächlich eine Dysbiose war, dass aber vor allem das Immunsystem selbst mit Aktivierung der ersten Abwehr der Schleimhaut gegen äussere Feinde (sIgA) erhöht war. Wir sehen, dass Marco noch nicht beim durchlässigen Darm angekommen ist - zum Glück und wir sehen, dass die Entzündungen im Darm (Calprotectin und Histamin) zwar nicht gut sind, aber noch nicht gefährlich.

Das sIgA ist erhöht. Für mich ist das oft auch ein Indiz, dass hier gewisse Nahrungsmittel triggern.


Wir haben natürlich gewisse Nährstoffe im Blut untersucht, unter anderem die, die für die Reparatur der Haut wichtig sind, z.B. Zink, Vitamin D oder Vitamin A. Da die Tests doch oft kostenintensiv sind, beschränke ich mich oft auf die wichtigsten Aussagen und nähere mich mit anderen Supplementen mit meiner Erfahrung an die Dosis an, die hilft.


Dann aber haben wir die Immunlage geprüft. Das war nicht so einfach, da Richtwerte für Kinder in diesem Alter meines Wissens nach nicht wirklich bestehen. Aber auch hier sind es Annäherungen, die uns auf die Spur bringen. Funktionelle Medizin ist Detektivarbeit. Hier einer der Werte, die für mich aussagekräftig waren.


Abklärung der Th1-, Th2- und Th17-Balance

Bei Neurodermitis liegt häufig eine Dysbalance im Immunsystem vor, insbesondere in den T-Helfer-Zellen, die das Immunsystem steuern. Eine Überaktivität der Th2-Antwort ist typisch und fördert allergische Reaktionen sowie chronische Entzündungen. Gleichzeitig können Dysbalancen bei Th1- und Th17-Antworten die Immunfunktion weiter beeinträchtigen. Eine Analyse dieser Immunprofile kann helfen, personalisierte Strategien zu entwickeln, um das Immunsystem in Balance zu bringen. Hier kommen immunmodulierende Nahrungsergänzungen und gezielte Ernährungsstrategien ins Spiel, die die Th1-, Th2- und Th17-Aktivität harmonisieren und so die entzündlichen Prozesse reduzieren können.

Neurodermitis Patienten zeigen oft eine Verschiebung hin zu einer Th2-Dominanz, was bedeutet, dass das Immunsystem verstärkt auf allergische Reize reagiert und Entzündungen fördert. Ein Ausgleich kann durch gezielte Nährstoff- und Pflanzenstoffsupplementierung unterstützt werden: Unter anderem unser geliebtes Omega-3 Fischöl,  mein all-time favorite Quercetin, Kurkuma, Astragalus, Vitamin C und viele mehr. 


Nachdem wir nun alle Infos hatten, konnte ich einen Plan machen. Bei den Kids sind das die drei M's, die ich nutze: Mikrobiom, Mitochondrien und Mindset.


Zuerst kommt natürlich das Mikrobiom, der Darm. Dort sanieren wir mittels Probiotika, faserreicher Ernährung, Glutamin, Colostrum, aber vor allem auch Auslass Ernährung: Sprich Milch und Gluten müssen per sofort weg. Ist es immer Milch und Gluten? Nein. Wir können das abklären. Bei Marco habe ich mich entschlossen, einfach mit zwei häufigen Triggern zu beginnen.


Die Mitochondrien sind eine spätere Phase, wenn der Darm gut ist. Aber das Mindset habe ich ebenfalls von Anfang an behandelt und zwar mit Atmung. 

Atmung? Was hat Atmung mit Haut zu tun? Tja, das wäre einen weiteren Blogbeitrag wert. Kurz gesagt geht es natürlich ums Cortisol, also um Stress. Ich wollte mit der Atmung das unbewusste Nervensystem, das natürlich massiv mit dem Darm zu tun hat, beruhigen.


Wie geht es Marco heute?

Ich weiss es noch nicht. Der Kontrolltermin steht noch aus. Ich bin zuversichtlich. Anscheinend reagiert er auf Hundehaare nur noch schwach allergisch - im Gegensatz zu vorher. Soviel weiss ich von seinem Onkel, der bei mir auch in Betreuung ist. Er reagiert also auf ein vorher starkes Allergen nicht mehr gleich. Das heisst, die Immunbalance gleicht sich langsam aus. Das dauert nämlich viele Monate. Seit ca. August macht er nun meine Therapie. Wir sind also auf sehr gutem Weg.


Und das macht mir viel Freude. Wirklich. Denn tatsächlich ist die Freude mein grösster Lohn. 


In diesem Sinne wünsche ich Euch allen einen freudigen, dankbaren Tag!


Herzlichst, Euer


Dr. René Lüchinger

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