Teil 2: Kakophonie des Grauens!
Im ersten Teil habe ich mich ausführlich über einen möglichen Entstehungsmechanismus des Übergewichts geäussert. Ich habe vom Hormonchaos meiner erfundenen Standard Patientin geschrieben, vom Zusammenhang des Drucks der sozialen und nicht so sehr sozialen Medien, den Sünden der Lebensmittelindustrie (wohl eher Tötungsmittel Industrie), von Darmschleimhaut und Entzündungen und generell von der massiven Schwierigkeit, selbst aus dem Teufelskreis des Gewichts herauszukommen.
Heute möchte ich noch auf die Schilddrüse und das Insulin eingehen und ende dann mit einem meiner gewichtigsten, aber auch liebsten Fälle. Dieses Mal ist es kein erfundener Patient, sondern real. Es ist ein Mensch, der tief in den Marianengraben der Krankheit vorgedrungen und nun auf dem Weg zurück an die Oberfläche ist. Wir haben mit der Therapie erst begonnen und doch zeigen sich erste, kleine Fortschritte.
Zuerst aber zum Zusammenhang Schilddrüse, Insulin und Übergewicht.
Die Schilddrüse ist ein kleines, schmetterlingsförmiges Organ im Hals. Klein aber oho, spielt sie eine entscheidende Rolle für den Stoffwechsel des menschlichen Körpers. Ihre Bedeutung ist aber nicht nur beim Energiehaushalt entscheidend, vielmehr ist dieses kleine Ding die Dirigentin unserer Hormonorchesters.
Sie beeinflusst unsere Sexualhormone, den Insulinstoffwechsel, den Cortisolhaushalt und vieles mehr. Und gleichzeitig, wie die Dirigentin im Orchester, wird sie beeinflusst von ihren Musikern. Wenn das Cortisol, die grossen Trommeln des Alltagsstress zu laut donnern, die zärtlichen Geigen des Progesterons zu leise streichen, die Trompeten des Insulins falsch schmettern, ja dann muss man sich nicht wundern, dass früher oder später auch die Dirigentin in Frust und Wut versinkt. Aufgepasst, wenn der Dirigentenstab Richtung Trommeln fliegt. Das kann durchaus ins Auge gehen.
Die Schilddrüse produziert zwei Haupttypen von Hormonen: Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Diese Hormone regulieren den Stoffwechsel, indem sie die Geschwindigkeit beeinflussen, mit der der Körper Kalorien verbrennt. Eine gesunde Schilddrüsenfunktion sorgt dafür, dass der Stoffwechsel auf einem normalen Niveau arbeitet, was essentiell für die Aufrechterhaltung eines gesunden Körpergewichts ist.
Sie wird durch das TRH und TSH stimuliert, mehr dazu unten. Das sind quasi ihre Chefs, die oben im Hirn sitzen, im Hypothalamus und in der Hypophyse. Diese zwei Chefs sind gewaltig mächtig, beeinflussen sie doch die ganzen Hormondrüsen mit ihren Übermittlern, den stimulierenden oder hemmenden Hormonen. LH und FSH kennt man oft noch von den Sexualhormonen.
Aber auch Cortisol und viele mehr werden von oben geführt.
Eine Unterfunktion der Schilddrüse, auch Hypothyreose genannt, führt dazu, dass der Körper weniger Schilddrüsenhormone produziert. Dies kann den Stoffwechsel verlangsamen und somit die Verbrennung von Kalorien reduzieren. Menschen mit Hypothyreose neigen oft zu Gewichtszunahme, da der Körper weniger effizient Kalorien verbrennt und gleichzeitig mehr Fett speichert. Diese Unterfunktion kann auf mannigfachem Weg entstehen. Autoimmun, wie beim Morbus Hashimoto oder, und das häufiger durch Stress und langanhaltende zu hohe Anforderung an diese Drüse.
Und genau hier kommt dann das Insulin ins Spiel.
Insulin ist ein Hormon, das von der Bauchspeicheldrüse produziert wird und eine Schlüsselrolle im Glukosestoffwechsel spielt. Es hilft dabei, Glukose, also Zucker aus dem Blut in die Zellen zu transportieren, wo sie als Energie genutzt wird. Insulinsensitivität beschreibt, wie effektiv die Zellen auf Insulin reagieren. Eine hohe Insulinsensitivität bedeutet, dass die Zellen gut auf Insulin ansprechen und Glukose effizient aufnehmen können.
Ich nenne die Insulinrezeptoren gerne die Zucker Torwächter der Zelle. An diese dockt das Insulin, so dass die Tore für den Zucker aufgehen. Doch leider ist der Rezeptor auch nur ein Mensch. Wenn er zuviel arbeiten muss, dann wird er müde. Wenn immer wieder und wieder Insulin auf ihn einprasselt, weil der Mensch den Zucker in sich hinein stopft, weil der Frust so hoch ist und der Zucker allgegenwärtig, ja dann hat der gute Torwächter irgendwann genug. Er öffnet die Tore nur noch unter noch mehr Druck, sprich noch mehr Insulin.
Die Insulinsensitivität ist gestört.
Eine verminderte Insulinsensitivität, auch als Insulinresistenz bekannt, führt dazu, dass die Zellen weniger effektiv auf Insulin reagieren. Infolgedessen bleibt mehr Glukose im Blut, was die Bauchspeicheldrüse dazu veranlasst, noch mehr Insulin zu produzieren.
Zucker und Insulin sind übrigens nicht so toll für die Blutgefässinnenwände. Wenn das Zeugs zu lange drin ist, dann nehmen diese Schaden. Der Schaden wird geflickt durch Plaques. Und das führt zu Gefässverkalkungen. Kennt man, oder?
Dieser Teufelskreis kann zu einer Gewichtszunahme führen, da der Körper zunehmend Schwierigkeiten hat, Glukose effizient zu verwerten und stattdessen mehr Fett speichert.
Nun gibt es eine enge Verbindung zwischen der Schilddrüsenfunktion und der Insulinsensitivität.
Studien haben gezeigt, dass eine beeinträchtigte Schilddrüsenfunktion die Insulinsensitivität negativ beeinflussen kann. Beispielsweise wurde bei Menschen mit Hypothyreose häufig eine reduzierte Insulinsensitivität festgestellt, was das Risiko für die Entwicklung von Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes erhöht.
Die Mechanismen hinter dieser Verbindung sind komplex, aber es wird angenommen, dass ein verlangsamter Stoffwechsel, verursacht durch eine Schilddrüsenunterfunktion, zur Ansammlung von Körperfett führt, was wiederum die Insulinsensitivität beeinträchtigen kann.
Es ist immer schön, wenn Studien den gesunden Menschenverstand bestätigen.
Darüber hinaus beeinflussen Schilddrüsenhormone direkt den Kohlenhydratstoffwechsel, was ebenfalls die Insulinwirkung beeinflussen kann.
Wenn nun noch das liebe Cortisol dazu kommt, ist die gewichtige Katastrophe parat. Cortisol nämlich hat die mühsame Eigenschaft, zwischen die Umwandlung des inaktiven T4 in das aktive T3 rein zu trommeln. Es stört also die munteren Piccolos der Aktivität T3 und T4. T4 fliesst ins unbrauchbare reverse T3 ab, welches sich nun frecherweise an die Rezeptoren für T3 hängt. Einem faulen Mitarbeiter gleich hockt es auf dem Bürotisch vor den PC, wie angeleimt und macht nichts anderes als Instagramm zu googlen. Der fleissige Mitarbeiter T3 steht daneben und kann nichts tun.
Cortisol ist übrigens auch ein abbauendes Hormon, also katabol im Gegenteil zu anabol. Es "frisst" Muskulatur und speichert jeglichen Überschuss an Energie als Fett. Es unterdrückt das Immunsystem und macht noch viel mehr.
Das, Cortisol hemmt tatsächlich auch die Hirnhormon Befehlskette, indem es die Ausschüttung von TRH Thyrotropin-Releasing-Hormon und somit auch TSH Thyreoidea-stimulierendes Hormon hemmt.
Es nervt also nicht nur den Mitarbeiter, die Schilddrüse, nein, der oberste Chef und sein Kadermitglied werden ebenfalls massiv gestört und gehen lieber auf den Golfplatz, als dass sie noch weiter im Geschäft bleiben.
Ein wahrer Teufelskreis der Ineffizienz und der Anfang des Kollapses.
Die Folge ist klar: Fehlfunktion auf ganzer Ebene. Anstatt dass der Energiehaushalt läuft, die Zelle zur Verbrennung angeregt wird und das Orchester schön spielt, sind wir wieder bei der schon im Teil 1 erwähnten Kakophonie des Grauens. Wir nehmen zu. Ohne, dass wir wollen oder viel dafür können.
Menschen mit einer Hypothyreose erleben oft eine Gewichtszunahme, die nicht allein durch Veränderungen in der Ernährung oder im Lebensstil erklärt werden kann. Dies liegt daran, dass ein langsamerer Stoffwechsel weniger Kalorien verbrennt und der Körper dazu neigt, mehr Fett zu speichern.
Insulinresistenz verstärkt dieses Problem, da sie die Fähigkeit des Körpers, Glukose effizient zu nutzen, beeinträchtigt. Überschüssige Glukose wird in Fett umgewandelt, was zu einer weiteren Gewichtszunahme führt.
Dieser Teufelskreis kann schliesslich zu schwerem Übergewicht und Adipositas führen, was wiederum das Risiko für eine Vielzahl von Gesundheitsproblemen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes erhöht.
So ein Scheiss, aber auch. Ah ja, die Verdauung und der Darm werden natürlich auch noch beeinflusst. Aber ich möchte ja keine Mediziner ausbilden.
Und so kommen wir zu meinem Patienten.
Ursprünglich Bauarbeiter und Bodybuilder, 185 cm gross, 110 kg Kampfgewicht in jungen Jahren und innerlich, wie so oft ein feinfühliger, kluger Mann. Er hatte Kraft ohne Ende. Schaufelstiele und er waren nie die besten Freunde. Er musste immer mehrere Ersatzstiele mit auf die Baustelle nehmen, da diese unter dem Gewicht und Hebel zerbrachen. Die armen Schaufeln!
Dazu war er noch Grenadier in der Armee, machte Armee Wettkämpfe, ein wirklicher Krieger. Und doch an sich sanft, wie ein Lamm. Wer so viel Kraft hat, muss diese nicht beweisen.
Früher wäre er wohl auf dem Schlachtfeld ein sehr ungern gesehener Gast gewesen, zumindest aus der Sicht der Gegenseite. Für die Schaufeln war er das auf jeden Fall.
Doch eine schwere Autoimmunerkrankung, wie so oft aus dem Nichts heraus, zwang diesen Kämpfer in die Knie. Die Behandlung war, angepasst an den massiven Schweregrad der Erkrankung und das drohende Nierenversagen angebracht und trotzdem katastrophal.
Immunsystem unterdrückende Medikamente, die sonst für Krebs gebraucht werden und Hochdosis Cortisol brachten den Organismus massiv aus dem Gleichgewicht. Er nahm zu. Und nicht 5 kg sondern 50! Die fehlende körperliche Arbeit, die massiven Einwirkungen der starken Medikamente bis hinunter auf Zellebene, die Autoimmunentzündung, all das führte zum Kollaps des Systems. Im Verlaufe der Zeit ging das Gewicht auf rund 180 kg hoch, weil der Teufelskreis ausgelöst wurde.
Das schulmedizinische Spiel begann. Da gab es dann wohl alles, was in diesem Spiel vorkommt, von stillen und nicht so stillen Vorwürfen über Ratschläge, Beratungen, Medikamente und vieles mehr.
Ernährungsberatungen kennt er in und auswendig. Ich sollte ihm vorschlagen, selbst Beratungen zu machen. Denn genützt haben sie leider nichts. Nicht, dass angepasste Ernährung nicht wirkt - im Gegenteil. Eine angepasste Ernährung ist oft der Schlüssel zum nachhaltigen Abnehmen und halten des Wohlfühlgewichts. Aber hier war tief auf der zellulären und hormonellen Ebene so viel aus dem Gleichgewicht, dass es an sich mehr gebraucht hätte. Dieser Mensch ist tief in der zellulären Ebene geschädigt.
Eine Zuweisung in die Endokrinologie zeigte dann endlich einen Erfolg, aber begrenzt. Die Anwendung von Ozempic brachte ebenfalls eine Gewichtsreduktion. Irgendwo um 15-20kg sind durch das Ozempic weggeschmolzen.
Metformin, für die Verbesserung der Insulinempfindlichkeit, nützte auch, aber nicht massiv.
Das Gewicht lag vor meiner Behandlung bei um die 160kg. Die medizinischen Massnahmen waren an sich ausgeschöpft. Die Behandlung in der Endokrinologie abgeschlossen.
Stellen Sie sich vor, welchen Mut es braucht, nochmals eine Therapie anzufangen. Doch an Mut fehlte es dem Mann nie.
Und so kam er zu mir. Und wir haben getestet, was nie getestet wurde.
Die Blutwerte waren sehr, sehr spannend! Mein Therapieansatz war zumindest anders, als andere. Und seit wir begonnen haben, hat er nochmals 6 kg zugelegt.
Toll, wie meine Therapie wirkt, oder? Nun fragen Sie sich wahrscheinlich, was daran toll sein soll?!
Und das soll so sein. Denn ich muss ja noch was für Teil 3 haben.
In diesem Sinne hoffe ich, dass ich Ihnen etwas erklären durfte, dass für Sie Sinn macht.
Bleiben Sie mir einmal mehr gewogen, bis dann endlich Teil 3 kommt. Da lösen wir das Rätsel auf, zeigen die Blutwerte und ich erkläre Ihnen meinen Therapieansatz.
Herzlichst, Ihr
Dr. René Lüchinger